Kreativität macht Schule

Als sich zehn schreibbegeisterte Schülerinnen und eine enthusiastische Lehrerin unter dem ehrgeizigen Titel „Bewahrung der zentralen Kulturtechnik des Schreibens – von der eigenen Handschrift zur Kalligraphie“ am Karl-von-Closen-Gymnasium im Eggenfelden zu einem Projekt-Seminar zusammenfanden, war das eine Premiere.

Geschrieben wird an einer Schule ja den ganzen Tag lang – auch heute noch, da Bleistift und Kuli beinahe schon von der Tastatur abgelöst worden sind. Aber dass das Schreiben selbst zum Unterrichtsgegenstand erklärt wurde, das war dann doch neu.

Der Wert der eigenen Handschrift

Eines der Seminarziele war es, die eigene Handschrift als etwas Einzigartiges zu erkennen und schätzen zu lernen. Anhand einschlägiger Fachbegriffe wie Oberlänge, Unterlänge, x-Höhe, Serife, Arkade und Girlande beschrieben die Schülerinnen zuerst einmal ihre eigene Handschrift und analysierten Neigung und Abstände. Dabei wurde schnell deutlich: So unterschiedlich und individuell wie ihre Persönlichkeiten sind auch die Schriftbilder einzelner Menschen. Und so ist auch in jeder Handschrift etwas ganz Einmaliges und Liebenswertes zu entdecken.

(Bild 1: Viola gestaltet eine Merkhilfe für die Fachbegriffe.)

Schreiben macht schlau

Zugegeben, ein Exkurs in den aktuellen Stand der Hirnforschung war ein bisschen trocken, und er brachte keine überraschenden Erkenntnisse: Dass das Schreiben mit der Hand sich positiv auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirkt, ist hinlänglich bewiesen. Wer mit der Hand schreibt, aktiviert, anders als beim Tippen, seine Feinmotorik – und damit genau die Hirnregionen, die auch für Sprache und Erinnerungen zuständig sind. Außerdem trainiert das Schreiben den Blick fürs Detail und somit nicht zuletzt das Leseverständnis. Schreiben macht also schlau! Das gilt selbst noch für Erwachsene. Geschriebenes wird tiefer im Gedächtnis verankert und ist leichter abrufbar. Auch die Bedeutung des Schreibens als konzentrations- und kreativitätsfördernde Maßnahme kennt keine Altersgrenzen. Deshalb also: Genug der Theorie, lasst uns nun Taten sehen!

Zaghafte Anfänge

Die ersten Schreibübungen mit der eigenen Handschrift umfassten Experimente mit unterschiedlichen Laufweiten und verschiedenen Schreiblinien, wie etwa eine Welle oder die Ausläufer eines Kleckses.

Damit der Fokus auf dem Schreiben an sich liegen konnte und der Text nicht ablenkte, wurde beispielsweise einfach das Alphabet geschrieben. Und geschrieben. Und geschrieben. Das übliche Geschnatter in einem Klassenzimmer voller Mädchen verstummte zunehmend und mit der leisen Musik im Hintergrund wurde das Schreiben zur Meditation.

Ruhe und Konzentration waren auch wirklich nötig, als es an die ersten Layout-Experimente ging. Wer nicht glaubt, wie schwierig es ist, ein 10×15 cm großes Rechteck mit gleichmäßigen geraden Bleistiftstrichen zu füllen, probiere es selbst einmal aus!

Kalligraphische Elemente

Langfristig sollte ja die eigene Handschrift mit sprsam und gezielt eingesetzten kalligraphischen Elementen aufgewertet werden. Es war also an der Zeit, erste Kalligraphie-Alphabete zu lernen. Als Einstieg dienten die Großbuchstaben nach Sherrie Kiesel, weil diese wunderbar mit der eigenen Handschrift zu kombinieren sind. Wer das A, das B, das C und damit das G beherrscht, kann bereits „Alles Gute“ oder „Gute Besserung“ schreiben.

(Bild 2: „Alles Gute“ kann man immer brauchen.)

Input von außen

Etwa zeitgleich wurde dieser Einfallsreichtum angefeuert von der Schriftkünstlerin Petra Pusl. Ein weiteres Merkmal eines P-Seminars ist es nämlich, dass ein sogenannter externer Partner, ein Experte, mit ins Boot geholt wird. In ihrer typisch zupackenden Art nahm sie den Lockdown als Herausforderung an und stellte kurzerhand einen Teil ihres Kursangebots auf ein online-Format um. Welch ein Segen für die Schönschreiberinnen des KvC! Direkt aus ihrer Schreibstube wurde sie in eines der mit Kamera und Mikrophon ausgestatteten Klassenzimmer übertragen und so konnte die geplante Zusammenarbeit – etwas anders als geplant, aber doch – stattfinden.

Zu jedem einzelnen Buchstaben des Alphabets gab sie wertvolle Anregungen und zeigte allerlei Beispiele. Außerdem präsentierte sie unzählige Layout-Ideen. Eine davon war, mit Tintenkiller auf ein blaues Tintenfeld zu schreiben.

Schließlich kam, worauf alle gewartet hatten: das Schreiben einer historischen Schrift mit der Feder. In diesem Fall war es die Cancellaresca und eine 3mm-Bandzugfeder. Lehrerin Daniela Riesinger und Schriftkünstlerin Petra Pusl hatten gute Vorarbeit geleistet. Denn obwohl diese letzte Hürde wirklich groß war, ließ sich niemand von den anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Einsetzen der Feder in den Federhalter oder gar der Frage, was denn jetzt genau 45° seien, abschrecken.

Weihnachtsstimmung bei über 30°C

Der Höhepunkt des Seminars und sozusagen die Nagelprobe war die Erstellung komplexer Schriftstücke. Dabei galt es nicht nur, alle eingeübten Schriftelemente, sondern auch die gelernten Layout-Kniffe einzusetzen. Das bedeutete, dass die verschiedenen Schriftarten ein harmonisches Ganzes ergeben und alles farblich aufeinander abgestimmt sein musste.

Für das parallel gelegene P-Seminar „Weihnachtsbasar“ sollten die Kalligraphinnen Weihnachtskarten produzieren, welche dann bei dem traditionell am Elternabend stattfindenden Weihnachtsbasar verkauft würden. Was dabei niemand so recht bedacht hatte, war, dass die Produktion der Karten zeitlich in den Juli fiel und das Wetter entsprechend hochsommerlich war. Eine Beschallung mit Weihnachtsliedern zur Ideenfindung lehnten die Schreiberinnen erwartungsgemäß ab, ebenso den heißen Punsch. Trotzdem kamen ganz bemerkenswerte, stimmungsvolle Weihnachtskarten zustande, die beweisen, dass die Kalligraphinnen des Karl-von-Closen-Gymnasiums den Praxis-Test mehr als bestanden haben.

(Bild 6: Die Gestalterinnen der Weihnachtskarten bei hochsommerlichen Temperaturen.)